A. Baeriswyl: Stadt, Vorstadt und Stadterweiterung im Mittelalter

Titel
Stadt, Vorstadt und Stadterweiterung im Mittelalter. Archäologische und historische Studien zum Wachstum der drei Zähringerstädte Burg - dorf, Bern und Freiburg im Breisgau


Autor(en)
Baeriswyl, Armand
Reihe
Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters, Bd. 30
Erschienen
Basel 2003: Schweizerischer Burgenverein
Anzahl Seiten
Preis
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Roland Gerber

Die unter der Leitung von Hans Rudolf Sennhauser an der Universität Zürich entstandene Dissertation fasst den aktuellen Kenntnisstand der archäologischen wie auch der historischen Forschung über das Wachstum der drei Zähringerstädte Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau während des Mittelalters in einer übersichtlichen und reich illustrierten Studie zusammen. Die Arbeit Armand Baeriswyls versteht sich dabei sowohl vom gewählten Thema als auch vom methodischen Ansatz her als interdisziplinäres und auf vergleichende Städteforschung angelegtes Grundlagenwerk, dessen lexikalisch gegliederte Kapitel einen schnellen Zugriff auf alle wichtigen Fragen der mittelalterlichen Stadtausdehnung wie Topografi e, Binnenwachstum, Erweiterungen und Vorstädte ermöglichen. Der Verfasser, der als Projektleiter beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern arbeitet, weist in seinem Schlusswort denn auch explizit darauf hin, dass die anhand der drei «Fallbeispiele» Burgdorf, Freiburg und Bern formulierten Thesen «auf interdisziplinärer Basis» vertieft und an möglichst vielen Städten überprüft werden sollten.

Eingeleitet wird die Arbeit mit einer Zusammenfassung des Forschungsstands, der wichtigsten Literatur und der – bisher uneinheitlich verwendeten – Terminologie zum Thema «Vorstadt und Stadterweiterungen». Danach folgt in drei Hauptkapiteln eine chronologische Beschreibung der topografi schen Entwicklung der drei Zähringerstädte. Im ersten Teil diskutiert Baeriswyl jeweils die aktuellen Fragen zur Stadtgeschichte und Archäologie, die kirchlichen Verhältnisse sowie die politische Entwicklung in der Zeit vor der Stadtgründung bis zur Eingliederung in die spätmittelalterliche Landesherrschaft (Burgdorf seit 1384 bernisch, Freiburg im Breisgau seit 1368 habsburgisch) – oder im Fall Berns bis zum Aufstieg in den Kreis der Reichsstädte am Ende des 14. Jahrhunderts. Im zweiten Teil wendet er sich den individuellen Siedlungsphasen der drei Städte zu und beschreibt diese ausgehend von der verkehrsgeografi schen Lage und der präurbanen respektive extramuralen Besiedlung über den Gründungsvorgang und die verschiedenen Erweiterungen bis zu den innerstädtischen Wüstungen infolge der Pestwellen seit 1348/49. Zum Schluss werden die in den Hauptkapiteln gewonnenen Erkenntnisse noch als übergreifende Thesen formuliert und in Abhängigkeit zu den Wechseln in der Stadtherrschaft vergleichend dargestellt. Abgerundet wird das Ganze schliesslich durch einen illustrierten Katalog der archäologischen Fundstellen in Burgdorf und ein ausführliches Orts-, Personen- und Sachregister.

Es ist das Verdienst der vorliegenden Arbeit, die bisherigen, teilweise widersprüchlichen Erkenntnisse zu Entstehung und Wachstum der drei Städte Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau kritisch zu hinterfragen und anhand der archäologischen Befunde neu zu interpretieren. Dabei gelingt es, die mehrheitlich älteren und lokalhistorischen Studien zu Burgdorf durch die jüngsten Grabungsresultate in wesentlichen Punkten zu ergänzen. Baeriswyl korrigiert zudem bei Bern und Freiburg einige seit längerem bestehende «Mythen» zur Gründungsgeschichte dieser vermeintlich gut erforschten Zähringerstädte. Für Bern kann er beispielsweise die von der älteren Forschung (Hans Strahm, Paul Hofer, Luc Mojon) postulierte zweiphasige Stadtgründung (Burg Nydegg mit anstossender Gründungsstadt bis zur Kreuzgasse um 1152, erste Stadterweiterung bis zum Zytgloggenturm um 1191) anhand der archäologischen Befunde endgültig widerlegen. Weiter stellt er fest, dass der in den Grundriss der heutigen Berner Altstadt hineinprojizierte «zähringische Gründungsplan» mit einem durchgängigen Hofstättensystem von 100 Fuss breiten und 60 Fuss tiefen Parzellen keineswegs die Verhältnisse während der Gründungszeit widerspiegelt. Dagegen betont Baeriswyl die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung der Integration der beiden stadtherrlichen Gewerbesiedlungen «am Stalden» um 1268 und «an der Matte» 1360 in die bestehende Bürgerstadt. Er versteht diese als vollwertige Stadterweiterungen, die er den beiden bekannten Ausdehnungen nach Westen (Innere Neustadt nach 1255, Äussere Neustadt nach 1344) ebenbürtig zur Seite stellt. Mit Recht nicht als Stadterweiterungen bezeichnet er hingegen die «Eingemeindungen» der vorstädtischen Gewerbesiedlungen Marzili und Sulgen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Diese gehörten zwar spätestens seit 1336 ebenfalls zum bernischen Stadtrechtsbezirk (Burgernziel), die rechtliche Stellung ihrer Bewohner entsprach jedoch jener der um 1409 institutionalisierten vier Landgerichte.

Neue Einsichten bringt die Studie schliesslich auch bei der Beurteilung der vorstädtischen Siedlungen sowie bei der Analyse von Urheberschaft und Motiven der Stadterweiterungen. Bemerkenswert ist die von der Forschung bisher kaum beachtete Feststellung, dass die Stadtherren eine Erweiterung des ummauerten Stadtareals häufig «als herrschaftliche Inszenierung beim Herrschaftsantritt» genutzt haben. Ob die frühe Entwicklung von Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau deshalb als «weitgehend in den Händen ihrer Herren» gelegen bezeichnet werden darf, muss jedoch an allen drei untersuchten Städten noch verifi ziert werden. Beariswyl selbst macht darauf aufmerksam, dass eine Stadterweiterung dem Stadtherren oft nur den äusseren Anlass bot, seine Herrschaftsansprüche gegenüber den immer autonomer auftretenden Bürgern neu zu formulieren. Zudem zeigt das Beispiel Bern, dass Ausdehnungen des Stadtareals bereits seit dem 13. Jahrhundert in bewusster Konkurrenz zum Stadtherren verwirklicht wurden. Spätestens mit der Zerstörung der Burg Nydegg um 1268 und der baulichen Integration der herrschaftlichen Gewerbesiedlung «am Stalden» in die benachbarte zähringische Gründungsstadt manifestierte der Berner Rat seinen Willen, in Zukunft keinen stadtherrlichen Vogt mehr innerhalb der Stadtmauern zu dulden. Die von Konrad Justinger überlieferte persönliche Anwesenheit Graf Peter II. von Savoyen an der Grundsteinlegung der ersten Stadterweiterung um 1255 refl ektiert deshalb ebenso wie die nur gerade 13 Jahre später durchgeführte Schleifung «seiner» Burg die aktuelle politisch-herrschaftliche Stellung der führenden Ratsgeschlechter und deren wechselnden Beziehungen zu König und benachbarten Herrschaftsträgern. Obwohl es im Interesse jedes Stadtherren gelegen sein musste, als Initiator einer Stadterweiterung zu gelten, waren es in erster Linie die im städtischen Rat sitzenden vermögenden Adligen und Notabeln, die sich gegen konkurrierende Familien abzugrenzen versuchten und ihren Einfluss – einmal mit, dann wieder gegen den Willen des Stadtherrn – auf die Siedlungen und Nutzungen vor den Stadttoren ausdehnten.

Insgesamt gewährt die Dissertation Baeriswyls zahlreiche neue Einblicke in das Entstehen und Werden von Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau während des Mittelalters. Die Arbeit bildet dadurch eine unentbehrliche Grundlage für alle kommenden Forschungen über die drei Zähringerstädte. Zugleich regt sie mit ihrer verständlichen Sprache und den rund 170 professionell gestalteten Abbildungen, Karten und farbigen Rekonstruktionszeichnungen zum persönlichen Erleben der heutigen Altstädte und ihrer archäologischen Spuren an.

Zitierweise:
Roland Gerber: Rezension zu: Baeriswyl, Armand: Stadt, Vorstadt und Stadterweiterung im Mittelalter. Archäologische und historische Studien zum Wachstum der drei Zähringerstädte Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau, Basel, Schweizerischer Burgenverein, 2003 (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters, Bd. 30), 355 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 4, Bern 2004, S. 228ff.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 4, Bern 2004, S. 228ff.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit